Von starken Seilen

Sei es auf der Arbeit, im Handwerk oder in der Freizeit – irgendwie hat es fast jeder schon einmal in der Hand gehalten und benutzt! Na, bei wem ist der Knoten geplatzt? Richtig, im heutigen Beitrag geht es um Seile.

Ein echter Geduldsfaden

Seile gehören nicht nur zu den ältesten Hilfsmitteln der Welt, sondern ihre Bedeutung für viele technische Konstruktionen ist immens. Ohne Seile hätte es so manchen Fortschritt gar nicht gegeben und ohne Seile wären wir auch heute ganz schön aufgeschmissen. Ob in der Landwirtschaft, in der Schifffahrt, im Bergbau oder auch in der Kriegsführung – Seile und Taue waren stets wichtig, um Lasten zu transportieren beziehungsweise zu ziehen, Schiffe festzumachen oder mit einem Katapult gegnerische Mauern einzureißen. Aber nicht nur damals spielten starke Seile für die industrielle Entwicklung eine große Rolle, auch heute sind sie vielfach ein bedeutendes Hilfsmittel für jedermann. Ob in der Freizeit beim Klettern oder Segeln, im Alltag bei Aufzügen und Fahrstühlen, auf Baustellen und zu Hause als Sicherung von Gegenständen oder Ladungen – Seile begegnen uns in vielen verschiedenen Formen sichtbar und versteckt nahezu jeden Tag in unserem Leben.

Das älteste Seil der Welt ist circa 3000 Jahre alt und man fand es bei Ausgrabungen in Ägypten.

Während Seile früher hauptsächlich aus Naturfasern wie Hanf oder Flachs hergestellt wurden, gibt es heutzutage auch Seile aus Sisal oder Kokosfasern zu kaufen. Später kamen im Zuge der Stahlindustrie dann auch Drahtseile und in der Moderne auch Kunststoffseile aus Polyamid und Polyester hinzu. Was wir umgangssprachlich zudem oft als Seil betiteln, unterscheidet sich je nach Durchmesser, genauem Herstellungsverfahren und bevorzugtem Einsatzgebiet trotzdem noch begrifflich voneinander: So werden zum Beispiel Seile, die in der Schifffahrt verwendet werden, stets als Tau oder Tross bezeichnet. Dünnere Seile, die man oft aus dem eigenen Alltag als nützliche Helfer rund um Haus und Garten kennt, heißen in der Regel auch Strick, Leine oder Kordel. Und selbst feine Arten wie Schnüre, Fäden oder Garn stellen im Grunde genommen extrem zarte Seile dar, weil sie in ihrem Aufbau und in ihrer Wirkungsweise mit großen Seilen vergleichbar sind.

Anblick eines Seil- oder Kammgeschirrs mit vier Haken für ein vierlitziges Seil.

Was ein Drahtseilakt

Doch wie wird so ein Seil eigentlich genau hergestellt? Wir haben Seilermeister Winfried Becke bei der Herstellung eines Seils über die Schulter geschaut und dabei viel über das Handwerk des Seilemachens gelernt. Bis aus einem gesponnenen Faden ein Seil geschlagen werden kann, sind nicht nur mehrere Arbeitsschritte notwendig, sondern auch noch eine ganze Reihe an Vorbereitungen: Um später ein glattes Seil zu erhalten, müssen zuerst die Fasern gekämmt werden. Das passiert, indem man das ganze Faserbüschel mehrmals über eine sogenannte Hechelbank zieht. Dadurch werden die langen Fasern von den kurzen Fasern, die in den langen Zacken hängenbleiben, getrennt. Die kurzen Fasern werden für die weitere Seilherstellung nicht mehr benötigt, sondern zu anderen Produkten weiterverarbeitet. Dann gilt es, aus den einzelnen Fasern dickere Stränge herzustellen, aus denen dann später das eigentliche Seil gedreht wird. Dazu ist zunächst ein Spinnvorgang nötig, bei dem die einzelnen Fasern zu einer Öse geformt am Spinnhaken befestigt werden.

Seilermeister Winfried Becke beim Einscheren des Seils.

Nun werden vom Spinnhaken ausgehend die einzelnen Fasern zu einem festen Faden gesponnen, wovon dann wiederum mehrere feste Fäden zu einem wesentlich stärkeren Strang verdreht werden, der sich im Fachjargon Litze nennt. Je reißfester das Seil am Ende sein soll, desto stabiler müssen diese Litzen sein. So konnte es damals übrigens gut sein, dass ein Seilmacher für ein besonders widerstandsfähiges Seil durchaus einige Kilometer laufen musste, was heute in der modernen Seilproduktion natürlich Maschinen übernehmen. Ein weiteres wichtiges Werkzeug beim Seilemachen ist das Leitholz. Das ist ein abgerundetes Stück Holz mit drei oder vier Furchen, in denen bei der Herstellung die einzelnen Litzen laufen, und wodurch verhindert wird, dass sich die einzelnen Litzen in die gleiche Richtung miteinander verdrehen, in der sie selbst verdreht sind. Durch dieses ständige entgegengesetzte Verdrillen drehen sich die einzelnen Fäden beziehungsweise Litzen und auch später das ganze Seil nicht mehr auf, sondern das Seil ist stabil.

Mit dem Leitholz werden die einzelnen Litzen zum endgültigen Seil verdrillt.

Schon einmal Seiltanzen probiert?

Erst wenn diese Vorarbeiten abgeschlossen sind, geht es an das eigentliche Seilemachen: Hat der Seilermeister nun drei oder vier Litzen, die jeweils wiederum aus beispielsweise drei Fäden bestehen, hergestellt, werden diese an dem einen Ende in das sogenannte Seilgeschirr und an dem anderen Ende in den sogenannten Seilschlitten eingehakt. Besonders wichtig dabei ist, dass das Seilgeschirr entsprechend drei oder vier Haken hat und der Seilschlitten nur einen Haken. Das ist notwendig, um aus den einzelnen Litzen auch tatsächlich ein Seil mit der gewünschten Spannung zu bekommen. Auch hierbei spielt das Leitholz wieder eine wichtige Rolle, denn dadurch kann der Seilermeister bestimmen, wie fest das Seil am Ende wird. Das Leitholz wird also vor dem Seilschlitten angesetzt und hält die drei oder vier Litzen vor sich auseinander, damit diese sich nicht unter den Drehungen des Seilgeschirrs miteinander verdrehen. Hinter dem Leitholz jedoch werden die einzelnen Litzen miteinander dann endgültig zum eigentlichen Seil verdrillt.

Qualitätskontrolle: Ob das Seil am Ende auch dem prüfenden Blick des Meisters genügt?

Dieser so locker aussehende Vorgang ist nicht nur technisch hochspannend, sondern auch für Jung und Alt ein echtes Vergnügen. Nicht nur, dass man beim faszinierenden Anblick der Herstellung eines Springseils zugucken und teilweise auch noch mit anpacken darf, nein, man lernt auch ganz nebenbei noch allerhand Wissenswertes über dieses Traditionshandwerk. So zum Beispiel, dass das fertige Seil anschließend noch geglättet wird, um überstehende Fasern zu entfernen und um es dadurch weicher zu machen. Oder dass man für die Herstellung eines 50 Meter langen Seils eine Seilerei von 72 Meter Länge braucht. Und was wir selbst auch noch nicht wussten, aber sicher der eine oder andere schon immer wissen wollte, ist: Warum heißt die Reeperbahn in Hamburg eigentlich Reeperbahn? Im Gegensatz zu den Seilern, die ihre handelsübliche Ware von allerlei Seilen und Stricken herstellten, nannte man Reeper diejenigen Leute, die dicke Taue und Trosse für die Seefahrt herstellten – und das natürlich bevorzugt in Hafenstädten wie zum Beispiel Hamburg. Da für die langen Schiffstaue jedoch viel Platz respektive eine lange gerade Bahn benötigt wurde, hießen die Straßen, in denen die Reepschläger ihr Handwerk ausübten, entsprechend Reeperbahn.

Übrigens: Wenn ihr auch einmal einem Seilemacher über die Schulter blicken wollt, dann haltet Ausschau, ob eventuell ein Freilichtmuseum oder eine ähnliche Stätte des Kunsthandwerks entsprechende Vorführungen anbietet. Manchmal finden sich auch auf Mittelalter- oder Weihnachtsmärkten schöne Mitmach-Aktionen, wo ihr vielleicht sogar euer eigenes Springseil drehen könnt!

Das Seilerhandwerk gehört zu den wichtigsten Entwicklungen der Menschheitsgeschichte.


Bildhinweise:

Wir bedanken uns bei Seilermeister Winfried Becke für die freundliche Genehmigung zu fotografischen Aufnahmen und deren Verwendung für diesen Artikel!

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